Stuttgart Open – mehr als nur ein Turnier

Sonntag, neun Uhr im Stuttgarter Westen. Ein Morgen wie jeder andere. Nicht aber für die 32 Spieler, welche die Gruppenphase der Stuttgart Open überstanden haben und nun im K.O-Modus gegeneinander antreten. Die Anspannung wird in der morgendlichen Stille beinahe greifbar. Jene Anspannung, die aus dem lockeren Spiel mit den bunten Kugeln erst den interessanten und ernsthaft betriebenen Leistungssport macht. Denn gefragt sind beim Billard vor allem eine ruhige Hand und ein kühler Kopf. Beides wird von all dem Adrenalin, welches in solch einer Situation den Körper flutet, nicht gerade gefördert.

Schon morgens dabei: interessiertes Publikum
Zehn Uhr. Über das Mikrofon werden die ersten Partien des Tages bekanntgegeben. 16 Partien, es geht um den Einzug ins Achtelfinale. Zwei Spieler haben dabei die Ehre, ihr Match auf dem TV-Tisch auszutragen. Schon früh am Morgen haben sich hier zahlreiche Billardfans und -Experten eingefunden, gerade so, als wollten sie mit dem Klischee aufräumen, Billardspieler seien Nachteulen und scheuten das Tageslicht. Aber auch einige Eventbegeisterte haben den Weg in das beliebte Sportcafé Carambolage am Feuersee gefunden, und so ist bereits jetzt für gute Stimmung gesorgt.

Nur die beiden Spieler auf dem Centre Court scheinen das nicht so richtig genießen zu können. Hochkonzentriert spielen sie jeweils zehn Kugeln, um einerseits den Tisch und seine Eigenheiten kennenzulernen, andererseits um den eigenen Spielrhythmus zu finden. Den Rhythmus bestehend aus dem Überblicken der Lage aller Kugeln auf dem Tisch, dem Durchdenken aller Optionen, der Planung der nächsten Schritte, dem ganz genauen Vorstellen des nächsten Stoßes, inklusive dem Geräusch der Kugel, wenn sie in die Tasche fällt, und schließlich der konsequenten Durchführung des vorgestellten Stoßes. Und dann? Innehalten. Auf das Geräusch der fallenden Kugel warten, der schönste Klang für jeden Billardspieler, welcher zugleich auch Startschuss für den nächsten Takt dieses endlosen Rhythmus‘ ist. Jeder Spieler hat seinen ganz eigenen Weg, diese Schritte auszuführen, und jeder Spieler nimmt sich unterschiedlich viel Zeit dafür. Gelingt es dem einen Spieler, dem Gegner den eigenen Rhythmus aufzuzwingen, hat er mental bereits einen großen Vorteil.

Valery Kuloyants hochkonzentriert
Doch hier spielen Profis. Beides gestandene Bundesligaspieler, die sich so leicht nicht aus ihrem Konzept bringen lassen. In einer taktisch geprägten aber durchaus sehenswerten Partie gegen seinen Teamkollegen Valery Kuloyants behält Roman Hybler die besseren Nerven und schafft den Einzug ins Achtelfinale.

Nicht im Achtelfinale und auch nicht im Viertelfinale soll für den gebürtigen Tschechen Schluss sein. Trotz starker Gegner erreicht er das Halbfinale, in dem er auf Titelverteidiger Sebastian Ludwig trifft. Dieser hat die Stuttgart Open in den beiden letzten Jahren gewonnen, und auch in diesem Jahr steuert er mit unfassbarer Selbstverständlichkeit das Finale an. Ob es wohl die vielen Turniersiege der letzten Jahre sind, die ihm das Selbstvertrauen geben, das er am Tisch ausstrahlt? Jedenfalls gewinnt man bei ihm den Eindruck, als könne eine Partie gar nicht anders enden, als mit seinem Sieg. Doch das Halbfinal-Match gegen Roman Hybler entwickelt sich zu einem wahren Krimi, das eines Finales würdig wäre. Beim Stand von 6-6 im Satz bis 7 behält Roman Hybler den besseren Ausgang einer taktischen Safety-Schlacht auf seiner Seite und macht den Finaleinzug perfekt.

Es kommt im Finale also zum Wiedersehen zwischen ihm, dem TV-Tisch, den Zuschauern vor Ort und auch den Zuschauern zu Hause am Livestream. Vier Filmkameras aus verschiedenen Perspektiven garantieren beste Bildqualität und spannende Unterhaltung, kommentiert von Billardstar Ralph Eckert und Radiomoderator Dirk Patz.

Ralph Eckert und Dirk Patz kommentieren unterhaltsam den Livestream
Dabei legt der Veranstalter großen Wert auf Innovation, so können Stöße in Super-Slowmotion gezeigt werden, eine bewegte Kamera fängt jeden Gesichtsausdruck der Spieler ein, und seit diesem Jahr sorgt auch der Videobeweis für ein klein wenig Entlastung des Schiedsrichters.

Innovationen wie diese, aber auch eine ausgezeichnete Organisation und tolles Ambiente in den Sportcafés, die mit Leckerbissen vom Grill und Drinks von der Cocktailbar verwöhnen, haben den Stuttgart Open einen hervorragenden Ruf eingebracht und zu einem der beliebtesten Turniere in Deutschland gemacht. Da verwundert es nicht, dass die 168 Startplätze schon Wochen vor Turnierbeginn ausgebucht waren. Zum Teil wurden die Startplätze an weit angereiste Profis vergeben, zum Teil aber auch an Vereinsspieler aus der näheren Umgebung, die ihre Chance nutzten, sich einmal mit den ganz Großen zu Messen.

Zu jenen gehört – wenn vielleicht noch nicht jetzt, dann aber schon sehr bald – Kevin Schiller. Das 18-jährige Nachwuchstalent aus Rottweil machte in den letzten Jahren bereits mehrfach auf sich aufmerksam und in Stuttgart spielt er ebenfalls ein überragendes Turnier.

Die Titeljäger Kevin Schiller und Roman Hybler
Während sich Roman Hybler reihenweise Taktik-Krimis liefert, stürmt der Jugend-Team-Europameister geradezu ins Finale. Mit seinem offensiven und schnellen Spiel begeistert er die Zuschauer. Doch im Finale stellt Roman Hybler seine mentale Stärke, seine taktische Abgeklärtheit und nicht zuletzt seine körperliche Fitness unter Beweis. Denn als das Finale um 20:30 Uhr gestartet wird, haben beide Spieler schon rund acht Stunden geistige Anspannung und höchste Konzentration hinter sich, was sowohl an den geistigen, wie auch an den körperlichen Ressourcen zehrt. Mit dieser Belastung scheint Roman Hybler besser fertig zu werden. Es gelingt ihm, seinen Gegner nicht ins Spiel finden zu lassen und ihm kaum Chancen zu bieten.

Mit einer überzeugenden Vorstellung im Finale und über das gesamte Turnier hinweg verdient sich der Bundesligaspieler die begehrte Trophäe samt Preisgeld, doch an diesem Abend ist er nicht der einzige Gewinner: Auch Kevin Schiller kann stolz auf seine Leistung sein, viele Zuschauer konnten im Laufe des Turniers hochklassigen Billardsport erleben, und es sei auch allen teilnehmenden Spielern und Helfern gedankt, den ausrichtenden Billardlokalen, Sponsoren und nicht zuletzt der Stadt Stuttgart für ihre großzügige Unterstützung.

Dank gilt allen Organisatoren und Mitwirkenden

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